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Magie für deine Verhandlungen – der Ankereffekt in der Juristerei

Kennst du das? Du willst über eine bestimmte Summe verhandeln, zum Beispiel über den Abfindungsbetrag für eine Unterhaltsforderung, über einen Schmerzensgeldanspruch oder über den Kaufpreis für eine Immobilie. Und es findet ein kleiner Eiertanz darum statt, wer zuerst aus der Deckung kommt und eine Summe nennt. Weil du nicht zu niedrig rangehen willst, so dass vielleicht dein Angebot sofort angenommen wird und das Gefühl bleibt, zu wenig gefordert zu haben. Und weil du nicht zu hoch rangehen willst mit dem Risiko, dass die Gegenseite die Verhandlungen wegen einer aus ihrer Sicht überzogenen Forderung abbricht.

Ist es also besser, erst einmal abzuwarten, was der Gegner sagt?

Es lohnt sich, zu dieser Frage ein wenig darauf zu schauen, wie unser Gehirn funktioniert und die Magie der ersten Zahl für sich zu nutzen.

Die Magie der ersten Zahl

·        beruht auf dem sogenannten Ankereffekt

·        kann die Verhandlung in deinem Sinne beeinflussen

·        kannst du auch dann für dich nutzen, wenn der Gegner die erste Zahl genannt hat

Unser Gehirn hat zwei Arbeitsweisen

In unserem Gehirn gibt es zwei kognitive Systeme, die unterschiedlich arbeiten. Das eine ist das blitzschnelle, automatische Denken, ein intuitives Einordnen von Informationen. Das andere ist das langsame Denken, das bewusste und logische Nachdenken aufgrund von Überzeugungen und Entscheidungen. Ausführlich beschrieben sind diese Systeme in dem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahneman. Und dort geht es auch um den

Ankereffekt.

In Verhandlungen wichtig zu wissen ist, dass die darin genannten Zahlen einen Ankereffekt in den Gehirnen aller Beteiligten haben. Dieser Anker wird unbewusst von unserem Gehirn zugelassen. Wie sich Zahlen auswirken, kann man leicht einmal in einer kleinen Umfrage testen, z.B. im Büro mit den Kollegen oder Mitarbeitern. Nimm dir dafür irgendeine Zahl, die geschätzt werden soll, z.B. die Anzahl der 2017 in Deutschland rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilten Personen. Und teste mal, wie sich die Schätzungen unterscheiden, je nachdem ob du fragst wie in Beispiel 1 oder in Beispiel 2.

Beispiel 1:

Wurden 2017 mehr oder weniger als 800.000 Personen in Deutschland rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt?

Wie viele Personen wurden 2017 in Deutschland rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt?

Beispiel 2:

Wurden 2017 mehr oder weniger als 300.000 Personen in Deutschland rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt?

Wie viele Personen wurden 2017 in Deutschland rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt?

Vermutlich werden die Schätzungen bei der Frage nach Beispiel 1 höher ausfallen als bei der Frage nach Beispiel 2. Das liegt an dem Ankereffekt der in der Frage genannten Zahl, von der aus die Befragten dann ihre Schätzung vornehmen. Das statistische Bundesamt teilt übrigens mit, dass in 2017 insgesamt 551.957 Personen zu einer Geldstrafe nach dem StGB rechtskräftig verurteilt wurden..

 
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Sei das Einhorn der Verhandlung

Nutze die Magie der ersten Zahl

Wie du den Ankereffekt für dich nutzen kannst

Wichtig ist es also, die erste Zahl ganz bewusst zu überlegen und zu nennen, unter Einsatz des langsamen Denkens sozusagen. Denn diese wirkt sich auf die ganze weitere Verhandlung aus. Sie ist in den Köpfen der anderen Beteiligten intuitiv verankert und von dort aus werden sie ihre eigenen Vorstellungen und Vorschläge anbringen. Mit der ersten Zahl bestimmst du also, in welchem Bereich überhaupt verhandelt wird.

Und wenn die Gegenseite schon einen Anker gesetzt hat?

Manchmal ist der Gegner schneller, vielleicht kommt der Mandant auch bereits mit einer schon erhobenen und verankerten Forderung oder die Reihenfolge der Ankersetzung ist gesetzlich festgelegt.

So sieht die StPO ja beispielsweise vor, dass zuerst die Staatsanwaltschaft plädiert und dann erst die Verteidigung. Es gibt auch hierzu Studien, die nachweisen, dass strafrechtliche Urteile von dieser Ankervorgabe der Staatsanwaltschaft beeinflusst werden. Interessanter Weise ist es sogar unerheblich, wieviel Erfahrung die urteilende Person hat. So kamen Studien zu dem Ergebnis, dass der Ankereffekt sowohl Einfluss auf das Urteil von Rechtsreferendaren als auch von erfahrenen Strafrichtern hat (Birte Englich, Die Macht der ersten Zahl, ZKM – Zeitschrift für Konfliktmanagemet 4/2010, S. 103 ff). Nur dass die erfahrenen Richter sich ihrer Sache sicherer waren als die Referendare. Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass es sich immer lohnt, genau hinzuschauen, auch wenn wir in einem Gebiet über sehr viel Erfahrung verfügen. Was sicherlich die erfahrenen Strafrichter auch tun.

Den Anker verwischen

Wenn nun ein Anker gesetzt ist, kann es eine Strategie sein, sehr viele andere Zahlen zu nennen. So lange, bis kaum mehr jemand weiß, wo man eigentlich herkam. Könnt ihr das mal ausprobieren und berichten? Ich selbst habe es in Verhandlungen schon ab und zu so praktiziert, kann aber ohne Vergleichsstudie natürlich nicht recht einschätzen, ob es gewirkt hat und wenn ja wie.

Den Beteiligten den Effekt bewusst machen

Was allerdings immer hilft und ohnehin in Konflikten wie im Leben überhaupt nützlich ist, ist das Benennen dessen, was ist. Es ist immer möglich, sich auf die Metaebene zu begeben und sich und anderen bewusst zu machen, was gerade passiert. Alle darauf hinweisen, dass nun mit der ersten Zahl ein Anker gesetzt wurde. Den ihr aus den und den guten Gründen für unangemessen haltet. So können alle auch bewusst noch einmal das langsame Denken einschalten, um den unbewusst schon aufgenommenen Anker zu überprüfen. An dieser Stelle können dann gute Argumente sicherlich auch dazu führen, dass ein neuer Anker gesetzt und der Verhandlung eine neue Richtung gegeben wird.

Wichtig ist es, den Ankereffekt zu kennen

Eigentlich geht es also gar nicht um Magie, sondern um wissenschaftlich nachgewiesene Prozesse in unserem Gehirn. Trotzdem kannst du mit dem Wissen um den Ankereffekt bestimmt ein bisschen Zauber in deine Verhandlungen bringen. Nutze die Magie der ersten Zahl für dich und setz mutig den ersten Anker! Oder mach diesen Effekt den anderen Beteiligten bewusst, wenn die Gegenseite schon eine Zahl genannt hat. Ich habe übrigens von Strafrechtlern gehört, die schon beim Betreten des Gerichtssaals außerhalb der StPO vorsorglich den ersten Anker setzen, auch das kann eine Strategie sein. Ausprobieren!

Schreib mir richtig gern einmal von deinen Erfahrungen mit dem Ankereffekt an hallo@inspiredlaw.de. Ich freue mich auf einen Austausch!

 

Christiane Eymers